Irgendwie war das halbe Jahr in Yangon viel kämpfen. Vieles hatte mit der Arbeit mit Myanmaris zu tun und spielte sich im Büro ab. Vieles geschah auf der Straße, auf der ich täglich zur Arbeit lief oder mir ein Taxi zur Arbeit nahm. Und einiges war innerlich und war ein Wechselbad der Gefühle und der Meinungen.
Kämpfen musste und wollte ich im ersten Büro und im Fellowship, das ich bei Search for Common Ground absolvierte. Kürzlich hatte die Chefin durch eine Budgetverzögerung den Großteil ihres Teams verloren. Nun wuchs das Büro schon von 10 auf gut 40 Mitarbeiter innerhalb weniger Monate und erhielt die Zusage für gleich mehrere Projekte. Die Kapazität der Angestellten war jedoch so gering, dass ich mit Word-, Excel- und PowerPoint-Trainings einen Unterschied machen konnte. Die Aufgaben der Teams waren zwar verteilt, wurden jedoch nicht nach den Erwartungen der Chefin und dem Anspruch einer internationalen Organisation gerecht. Da begriff ich die erste Schwierigkeit in der Postdikatur Myanmar, in der Bildung radikal benachteiligt, wenn nicht gänzlich jeglicher Kritikfähigkeit und jeder Selbstständigkeit entzogen wurde. So waren die drei Monate von vielen Frustrationen, Enttäuschungen und Aufopfern / Abrackern geprägt.
Gleichzeitig war Search aber mein Start in die myanmarische Friedensarbeit und mein Einstieg in die interkulturellen Herausforderungen des Landes. Die Arbeit, die sie weltweit leisten ist genial und unglaublich unterstützenswert. Die Prinzipien sprechen mir aus der Seele und obwohl Search eine große Organisation ist, bleibt der Bezug zur Realität des Landes und zu den Projekten vor Ort bestehen. Search ist aber auch eine international finanzierte, aber lokal organisierte Stiftung, die größten Wert auf die vor Ort verwurzelten und mit dem Kontext vertrauen Menschen setzt. Macht Sinn und ist absolut unterstützenswert, doch schwierig, wenn ein Internationaler die Arbeit mehrerer Myanmaris zugleich ausführen und zugleich vermutlich besser machen würde. So kämpfte ich viel für Verbesserung und eckte doch durch sämtliche Grenzen wie Hierarchiedenken, sprachliche Missverständnisse und kulturelle Unterschiede an.
Search machte den Joint Peace Fund möglich, dem ich die drei deutlich schöneren und angenehmeren Monate in Myanmar verdanke. Dafür bin ich wiederum richtig dankbar und profitiere auch über die Zeit in Yangon hinaus enorm.
Beim Joint Peace Fund arbeite ich seit August als Consultant für Grafikgestaltung und Öffentlichkeitsarbeit in der Kommunikationsabteilung. Hier lernte ich den myanmarischen Friedensprozess kennen und kämpfte dafür, mehr zu verstehen als schwammige und verwirrende Artikel der Medien hergaben. Auch im Kommunikationsbüro, in dem eine britische Chefin eine myanmarische Stellvertreterin hat, kämpfte ich gegen Hierarchien, gegen mangelnde Selbstständigkeit und Obrigkeitsdenken. In einem derartig gemischten Arbeitsumfeld beauftragt beispielsweise die britische Chefin den lokalen Praktikanten, ein Treffen zur inhaltlichen Gestaltung eines Lexikons zu organisieren. Dieser ist völlig perplex und traut sich solch eine Aufgabe nicht zu. Zusätzlich dazu lässt es das hierarchische Gerüst des Landes nicht zu, dass er in seiner Rolle als Praktikant Vollzeitangestellten „Aufträge erteilt“. Spannend! Und unheimlich knifflig, als weitere Internationale auf täglicher Basis auf solchem Gelände zu navigieren.
Kämpfen durfte ich auch jeden Tag aufs Neue mit der Auffassung von Yangons Taxifahrern, dass alle Weißen enorm viel Geld haben und liebend gerne den Vielfachen Preis bezahlen. So verhandelte ich jeden Morgen aufs Neue und ärgerte mich häufig über die mir entgegengebrachte Dreistigkeit. Schlimmer war es nur nachmittags in der Stoßzeit gegen 17:00, wenn myanmarische Uber, das Grab heißt, statt 1000-1500 Kyat schon erhöhte 2500 verlangt, die Taxifahrer aber die Reihe durch nur 4000 Kyat anbieten.
Bei Taxis wie Eintrittspreisen gilt weiterhin die Devise, dass Internationale statt dem kostenlosen Eintritt plötzlich 10.000 Kyat bezahlen. Sie dürfen nicht die lokalen Boote zum lokalen Preis nutzen und genießen generell eine Sonderstellung in der Gesellschaft, die sie meist weder genießen noch verlangen. Erbe des Kolonialismus oder Missverständnis?
Kämpfen musste ich auch gegen Gerüche aus allen Ecken. Die Kanalisation, die meist nur durch Platten abgedeckt ist, stinkt. Der Markt riecht extrem nach rohem Fisch und frisch geschlachteten Hühnern. Speichelsaft von Betelnuss Kauenden bedeckt jede Straße mit Flecken. Vogelkacke lässt sich auf vielen Bürgersteigen finden und stinkt zum Himmel.
Doch der fieseste Geruch war der von traditionell myanmarischer fermentierter Fischsauce, die in fast allen Gerichten enthalten ist. Grrr! Als Vegetarierin bin ich da wohl einfach im falschen Land gelandet, doch auch für Nicht-Vegetarier ist der Geruch stark gewöhnungsbedürftig. So kämpfte ich jeden Tag aufs Neue um eine Suppe, die mal tatsächlich den vegetarischen Kriterien entspricht und das Wort „tatalou“ (= leblos, also quasi Essen ohne zuvor Lebendiges) wurde mein stetiger Begleiter.
Und nun kämpfe ich noch einen kleinen Kampf mit Tausenden Fotos aus Myanmar, aber auch von den Visa-Trips nach Laos, Thailand und Vietnam.
Und werde in wenigen Stunden sicherlich mit einem viel zu vollen Bauch zu kämpfen haben, den ich nach dem ersten Frühstück im alten Zuhause in Hessen haben werde. Schokoladencroissant, Laugenbrezel, Vollkornbrot, Quark, Käse und selbstgemachte Marmelade… Wo soll man denn da überhaupt anfangen?