Warum fahren die Menschen in Yangon eigentlich meistens wie die Berserker? Das Radfahren in Deutschland ist ja schon manchmal gefährlich, aber in Yangon sprechen wir von einem ganz anderen Kaliber. Dass man damit die komplette Straße für die Autofahrer auf der Querstraße blockiert, wenn man blind auf den Stau an einer Kreuzung auffährt? Dass man nie ein anderes Auto vor sich einbiegen lässt, egal wie lange der andere dann wartet? Dass man Krankenwagen mit Blaulicht nicht vorbeilässt, nur um keine Lücke vor sich zu lassen, in die andere reinfahren könnten? Egal, alles nicht mein Problem.
Das Autofahren ist ein (fast) regelfreier Raum und da ist jeder sich selbst der nächste. Aber nicht nur das, man traut den Menschen auch nicht mehr zu, auf sich selbst zu achten. Wenn man im Dunkeln die Straße überquert und dabei einzelne Autos vorbeiziehen lässt, hupen die mich oft laut an. Am Anfang habe ich mich gefragt, was das soll, bis ich irgendwann mitbekommen habe: Die meinen das nur nett. Als wenn ihre Scheinwerfer nicht genug wären, hupen sie sicherheitshalber, damit ich bestimmt nicht die Idee komme, jetzt über die Straße zu gehen. Würde ich eh nicht machen, denn da kommt ja ein Auto angerast. Aber der Autofahrer rechnet damit, dass ich natürlich über die Straße gehe und ihn zum Bremsen zwinge, weil man das hier so eben oft genug so macht.
Cut. Friedensverhandlungen. In der kommenden Woche findet die dritte Runde der Friedensverhandlungen zwischen dem Militär, der Regierung und den Armeen der ethnischen Gruppen (ethnic armed organisations, EAO) statt. Während einige dieser Gruppen ein erstes Waffenstillstandsabkommen schon 2015 unterschrieben haben, sind andere dem noch nicht beigetreten. Und auch bei denen, die unterschrieben haben, bröckelt der Friede. Die nun stattfindende Panglong Konferenz kann zwar Fortschritte bringen, kann aber auch in einem ausgewachsenen Eklat enden.
Der Knackpunkt: Die EAOs sind zwar grundsätzlich bereit, eine myanmarische Föderation mitzutragen. Aber ihre Waffen abgeben, das wollen sie dann doch nicht. Wie sollen sie einem Militär trauen, das Waffenstillstandsabkommen mindestens so oft gebrochen hat wie die EAOs selbst? Das Militär wiederum, ist nicht bereit, politische Kontrolle abzugeben, weil es – blumig umschrieben – um die Stabilität Myanmars fürchtet. Anders ausgedrückt: Es fürchtet um seinen politischen Einfluss und wirtschaftliche Macht. Und die Regierung? Aung San Suu Kyi und ihre Parteifreunde von der NLD haben alle Mühe, den Laden beisammen zu halten. Die EAOs vertrauen ihr nicht, da sie sich besonders in den letzten Monaten zu sehr dem Militär angebiedert habe. Das Militär vertraut ihr nicht, da sie jahrzehntelang erbitterte Feinde waren. Und wenn die NLD die Regierungsgeschäfte nicht gut mache, dann putsche das Militär eben.
Heraus kommt ein Dilemma, in dem niemand bereit ist, einen Schritt auf den anderen zuzugehen, weil jeder Angst hat, dieses Signal des Zugehens werde sogleich von den anderen Parteien ausgenutzt. Womit wir wieder bei den Verkehrsteilnehmern wären. Jedes Zeichen von Nettigkeit ist auch ein Zeichen von Schwäche und lässt mich im Zweifel ein paar Minuten später ankommen.
Die beiden Fälle haben natürlich keine kausale Verbindung, aber sie zeigen doch: Ohne ein gewisses Regelwerk, ohne eine Institution, die Autorität genießt und unparteiisch diese Regeln durchsetzt, traut sich niemand, auszubrechen und es verlieren alle. Und vielleicht, ganz vielleicht, braucht es einfach nur eine Person, die den ersten Schritt wagt.