Der erste Monat naht
Search ist schon ein faszinierendes Sammelsurium. Heute hat mich mein Kollegen gefragt, wie man eine Uhr aufzieht. Er wollte gerade googeln, wie man bei seinem Modell die Zeit verstellen kann, da hat er doch noch kurz nachgefragt. Eben dieser Kollege ist auch Koordinator für Design, Monitoring und Evaluierung (Projektplanung, Kontrolle und Evaluierung), seit zwei Jahren hier bei Search und damit fast am längsten dabei.
Search ist hier in Myanmar im fünften Jahr und gerade auf Expansionskurs. Anfang des Jahres gab es rund 10 Mitarbeiter, seit heute sind wir 23 und im nächsten Monat sollen es wohl 40 werden. Erstaunlich, dass die Chefin Isla dennoch die einzige Internationale ist. Emma und ich sind als Fellows also doch in einer interessanten Position. Vieles verstehen wir sprachlich deutlich besser und benötigen viel weniger Zeit zur Erledigung. Doch dieses Argument führt nirgendwo so richtig hin, denn die anderen sind diejenigen, die den Job haben. Und so bringen wir uns einfach ein, wo auch immer wir gebraucht werden können. Dabei variieren unsere Aufgaben zwischen Projektevaluierungen, Flyer-Gestaltung, Event-Management und Chef-Assistenten-Tätigkeiten. Ein spannender Mix!
Woche 1 – Ressourcen und Erkenntnisse
Ich kann erstaunlich schnell durchstarten und bekomme schnell Zugriff auf alle Dokumente und Unterlagen. Privatsphäre hat nicht unbedingt höchste Priorität, doch es ist ein geniales Sammelsurium, das sich ergibt. Es gibt ein Intranet, auf das ich mit meiner Email zugreifen kann und das mir Zugriff zu allen Projektressourcen gewährt. Hier finde ich einen Ordner zu thematischen Bausteinen wie “Mediation und Dialog” oder “Trauma and Healing”. Ich bin im Paradies und bekomme endlich den Input, nach dem ich lange gesucht habe.
Wir expandieren, doch sitzen noch im kleinen Büro. Das Büro hat vier Stockwerke, mindestens 6 Badezimmer und viel zu viele offene Räume. Es ist laut und durch den steten Wechsel an Menschen schwierig, sich länger zu konzentrieren. Einige gehen faszinierender Weise aus ihrem Büro raus, machen die Tür zu und nehmen dann in unserem Büro ihren Anruf entgegen. Doch je länger ich dort bin, desto mehr kann ich die Offenheit, Ehrlichkeit und Hilfe meiner Kollegen wertschätzen. So gestalte ich in der ersten Woche eine Infografik zu Hate Speech und eine zu Design, Monitoring und Evaluation, die später in den sozialen Medien oder auf der Website veröffentlicht werden soll. Und ich entdecke das „Myanmar Impact Toolkit“, das Search gemeinsam mit anderen Organisationen wie Smile oder Phandeeyar erstellt hat. Dort sind viele Tools zur Evaluierung erklärt, viele Projektmanagement Kniffe aufgeführt und ich habe meine erste große Erkenntnis.
Erkenntnis Nummer 1: Was ich an der OTH Regensburg in meinen BWL und Projektmanagement Vorlesungen gelernt habe, lässt sich eins zu eins auf den Non-Profit Bereich übertragen. Ich finde hier die SWOT Analyse wieder, lese über Stakeholder Mapping und den Projekt Life Cycle. Einige Tools kann ich direkt übertragen und einsetzen, viele sind Werkzeuge, um logisches Denken zu leiten und die wenigsten werden hier im Alltag angewendet.
Woche 2 – Search gibt Medientraining in der Hauptstadt Naypyitaw
Am Dienstag meiner zweiten Woche bei Search fliegen wir nach Naypyitaw in die Hauptstadt Myanmars. Es ist eine verrückte Erfahrung, in der zweiten Woche des Fellowships eine „Geschäftsreise“ in die Hauptstadt zu machen. Doch für mich hat es zunächst den riesigen Wert, dass ich einige meiner Kollegen wirklich kennen lerne. Der Zuständige für Design, Monitoring und Evaluation ist auch wieder dabei, doch ich verstehe ich auch viel über die Arbeit der anderen. Media Coordinator, Media Assistant, Logistician, Consultants (Berater auf Honorarbasis) – insgesamt sind wir zu siebt. Der Media Coordinator hat alle Stricke in der Hand und delegiert die Aufgaben. Er löscht alle Feuer, die entstehen und ist unglaublich gestresst. Dabei kommt er aus dem Rakhine State, ist Rohingya und fastet dementsprechend gerade im Ramadan. Doch es ist wunderbar, ihn an der Seite zu haben, weil er über alles Bescheid weiß und immer den richtigen Ansprechpartner kennt. Der Media Assistant geht ihm logischerweise zur Hand und assistiert, wo immer nötig. Viel passiert hier in diesen drei Tagen Training und auch er kommt mächtig ins Schwimmen. Wenn der DM&E Coordinator und ich eine Success Story aufnehmen, also ein Interview mit einem Teilnehmer führen, dann übernimmt der Media Assistant die Kameraführung und organisiert das Setting.
Der DM&E Coordinator und ich haben hier die Aufgabe, Erfolgsgeschichten der Teilnehmer aufzuzeichnen und dadurch die Ergebnisse der Arbeit zu dokumentieren. Zudem führen wir einen Pre-Test und einen Post-Test durch, in dem wir testen, welche neuen Fähigkeiten die Teilnehmer durch das Training erhalten. Auch dadurch können wir den Erfolg der Maßnahme messen. Und die Consultants führen das Training durch, geben Anweisungen, fordern die MRTV-Angestellten heraus und versuchen vor allem eines: sie auf neue Ideen zu bringen und ihnen eine Alternative zum Studio-Filmen zu geben. Denn genau das ist Sinn und Zweck dieser Woche. Die MRTV-Experten sollen dafür vorbereitet werden, eine Serie für Search zu produzieren. Diese Serie ist die zweite Phase des Projekts „Let’s Think, Let’s Change“. Hauptfokus liegt darin, eine Fernsehserie und einen Radio Podcast zu produzieren, die Gewaltfreiheit, Diversität und Konfliktlösung propagieren. Nachdem die erste Serie „TEAM“ einen unglaublichen Erfolg in Myanmar erzielt hat, hatte der nationale Fernsehsender angeregt, eine zweite Staffel zu produzieren. Und obwohl sich in der Zwischenzeit ein komplett neues Projektteam bei Search formiert hat, geht TEAM nun in die zweite Phase.
Unheimlich bereichert und doch ein wenig ernüchtert kehre ich am Samstag nach Yangon zurück und sitze am Montag wieder im Büro. Es ist komisch, wieder mit den gleichen Menschen zusammen zu sitzen, mit denen ich eine derartig abgekoppelte Woche im Ministerium für Informationstechnologie verbracht habe. Ich verstehe sie alle viel besser und habe doch auch Seiten von ihnen erlebt, die im Stress des Seminars zum Vorschein kamen und nicht mal ihren Kollegen bekannt sind. Doch das war das große Plus des Seminars, bei dem ich bis auf einige Teambuilding-Spiele und Interview-Aufnahmen nicht viel beisteuern konnte. Ich bin nun ein Teil des Teams geworden und werde als gleichrangig angesehen.
Woche 3 – Filmproduktion trifft auch Friedensarbeit bei Search
Die ersten Teilnehmer des Trainings in Naypyitaw kommen nun zu Search nach Yangon und unser Büro verwandelt sich in eine Produktionsstätte. Der Script Writer bekommt ein Spezialtraining und schließt sich dann in seinem kleinen Raum ein, damit er ungestört die Episoden texten kann. Der Direktor und die Produzentin beginnen damit, das weitere Vorgehen des Projektes zu planen und bekommen nach und nach Unterstützung von den benötigten MRTV-Filmexperten. Es wird zunehmend voller und voller im Büro und wir verlieren unseren großen Konferenz- und Yogaraum an die Film und Radio Crew. Nun beginnt die Zeit der Noise Cancelling Kopfhörer, die zur überlebensnotwendigen Ausstattung gehören. Hab ich natürlich nicht, aber auch normale Kopfhörer helfen schon, um dem Stimmengewirr etwas zu entkommen. Treffen finden jetzt zunehmend auf meiner Großraum-Etage statt und ich fliehe regelmäßig, um mich mal länger als 10 Minuten auf einen Artikel konzentrieren zu können. Doch letztlich hat es auch eine sehr aktive und spannende Stimmung. Hier geschieht tatsächlich etwas und das Projekt (Let’s Think, Let’s Change, Phase II) läuft auf Hochtouren. Es ist faszinierend, diese Projektentwicklung mitzuerleben und wirkt erst einmal viel spannender als bloß ein Projekt zu verfassen oder zu evaluieren. Für mich ist es eine Design-Woche, in der ich für das andere Search Projekt einige Vorlagen gestalten soll. Auch hier gibt es schon erste Missverständnisse, da letztlich nur erwartet wurde, dass ich eine Word-Vorlage mit Kopf- und Fußzeile erstelle, anstatt ein ganzes InDesign-Portfolio für das Projekt gegen Vergütung zu entwerfen. Nunja, Search and Smile.
Woche 4 – Monitoring, aber wie und wo?
Jetzt wird’s spannend und ich komme endlich an das Thema heran, für das ich eigentlich hier bin. Der erste Monat naht sich dem Ende und für mich steht DM&E auf dem Plan. Design der Projekte ist zum Großteil abgeschlossen. Projekt 1 (Let’s Think, Let’s Change) geht schon in die Produktion der Fernseh- und Radioserie und Projekt 2 (Öffentliche Dienstleitungen im Rakhine Staat verbessern) startet in wenigen Tagen. Dennoch sind wir DM&Eler auch im Projekt 2 trotz des fortgeschrittenen Status gefragt. Wie können wir messbar machen, was wir planen? Im Umkehrschluss: Wie können wir das Projekt so planen, dass wir es später messbar machen können? An das Monitoring (Überwachung / Kontrolle) ist da noch gar nicht zu denken, doch es gibt noch so einiges zu tun, damit der Erfolg dieses Projektes gemessen werden kann.
Und dann geht es am Dienstag los. Das Team des Projekt 2 trifft sich… in unserem Büro! Für drei Tage halten sie eine große Projektplanungskonferenz mit ihrem Projektpartner gemeinsam und finalisieren die Planungen für das Projekt. Nun haben wir also eine Produktionsfirma (4. Stock) und ein Projektteam (2. Stock) und ich brauche ein neues Büro. Zum Glück erhalte ich Asyl vom Business Development und DM&E Kollegen und kann endlich wieder einigermaßen arbeiten. Nun schreiben wir gerade an einem Monitoring and Evaluation Plan für das Projekt 2 und ich beginne zu verstehen, dass es hier wirklich einiges, einiges zu tun gibt. Allein ein kritischer Blick genügt oft, um doch noch ein wenig mehr zu geben und ein Auge mit Fokus auf Grammar und Spelling ist auch nie verkehrt.
Puh, das war also mein erster Monat bei Search. Ob die nächsten Monate auch so ereignisreich werden? Ich nehme es fast an, denn am Wochenende zieht unser Büro erst einmal um… Na dann viel Spaß… Wo kriege ich jetzt Noise Cancelling Kopfhörer her?