Ich sitze im Schneidersitz unter einer Tortenhaube und schwebe. Mein Körper bewegt sich nach oben, Richtung Decke, und wieder zurück nach unten. Durch den Fußboden hindurch. Immer wieder rauf und runter. Ich bewege mich schnell, wie von Geisterhand, und fühle mich schwerelos. Auf einmal tauchen Lichter vor meinen geschlossenen Augen auf. Undeutlich, vibrierend, weiß-grau. Sie wabern von unten nach oben, von der Oberlippe über die Stirn. Mal als waagerechter Bogen, mal eher ein Kreis. Ein Licht kommt, ein Licht geht. Stetiger Wandel, stetige Bewegung. Genau wie mein Körper. Immer auf und ab.

Nach zehn Minuten ist der Spuk vorbei, langsam beruhigt sich mein Geist und ich sitze wieder fest auf dem Boden. Die Lichter sind erloschen und ich spüre meinen Körper wieder. Und wie! Mein linkes Bein ist während der Meditation eingeschlafen und tut vom ständigen Schneidersitz höllisch weh. Was ist hier gerade passiert? So wirklich weiß ich es auch nicht. Ich weiß nur, dass sich mein kurzentschlossener Besuch im Pa-auk Meditationszentrum gelohnt hat.

Eigentlich war ja nur ein Trip nach Mawlamyine, Hpa-an und zum Goldenen Felsen geplant. Malin muss noch zwei Wochen arbeiten, aber ich habe die zwei Wochen frei bevor wir wieder nach Deutschland zurückkommen. Und die Zeit wollte ich nutzen, noch etwas vom Land mitzunehmen. Zugegebenermaßen war ich aber auch schon etwas reisefaul als es losging. Nach so vielen Tempeln, Pagoden und Panorama-Landschaften die wir in den letzten Monaten erlebt haben, brach ich nicht mehr mit voller Begeisterung zu noch mehr Pagoden und Panorama auf. Gleichzeitig wusste ich, dass das die letzte Chance sein würde, noch etwas Neues und Einzigartiges in Myanmar zu erleben. Und so holte ich mit gemischten Gefühlen am Montag das Busticket für die gleiche Nacht und fuhr am Abend zum Busbahnhof.

Dort hatte ich noch eine Stunde Zeit. Da es keine Bänke gab, setzte ich mich auf den Asphalt und stöberte in Reiseblogs, um vielleicht doch noch einen Geheimtipp für die Region zu bekommen. Umgeben vom Lärm und Smog der Busse, Taxen und Motorräder hatte ich meine erste kleine Erleuchtung. Ich gehe ins Kloster! Unter den Reiseberichten zu Mawlamyine habe ich eher beiläufig gelesen, dass im Pa-auk Kloster auch Ausländer zum Meditieren eingeladen sind. Das wollte ich schon immer mal ausprobieren. Innerhalb von fünf Sekunden habe ich den Entschluss gefasst, meine Standard-Reise über den Haufen zu werfen und stattdessen für eine gute Woche ins Kloster zu fahren. Malin muss bei dieser spontanen Entscheidung gedacht haben, dass ich zwar irgendwie verrückt bin, fand das aber trotzdem gut. So sage ich noch dem Busfahrer, wo ich gerne aussteigen möchte und lege mich im Bus schlafen.

Das Pa-Auk Meditionszentrum

Ob man dem Smog, der Hektik oder dem Kapitalismus entkommen will – um richtig Ruhe zu finden, kann man auch als Ausländer in verschiedenen Meditationszentren zu sich kommen. Eines davon ist das Pa-auk Meditationszentrum bei Mawlamyine, 300km von Yangon entfernt. Fernbusse halten direkt davor, wenn man sich mit dem Busfahrer abspricht. Wer wieder wegfahren will, findet zudem direkt am Eingang einen Stand, bei dem man Bustickets kaufen kann.

In Pa-auk wird die anapana-sati Meditation gelernt, bei der man sich nur auf die Sensation der Luft beim Ein- und Ausatmen konzentriert. Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen. Die Außenwelt ausschließen. Nur der Atem.

Das Kloster hat zudem eine große englische Bibliothek, in der man sich in die Tiefen des Buddhismus stürzen kann. Für mich waren viele der Texte zwar sehr abgehoben und theoretisch, aber durchaus interessant, um das buddhistische Denken besser zu verstehen.

Das Kloster übernmmt dabei alle Kosten. Egal wie lange man bleibt, man muss keinen Cent ausgeben. Solange Platz ist und nicht zu viele Buchungen eingehen, kann man so lange dort bleiben wie man mag und jeden Tag aufs Neue entscheiden. Die Betten sind nicht gemütlich, aber das Essen war besser als erwartet.

Der Bus spuckt mich mitten auf der Landstraße aus. Es ist stockfinster, 3:00 Uhr am Morgen. Das Eingangstor ist zwar nicht zu übersehen, aber dahinter ist nur Dunkelheit. Und ich habe ja auch keine Ahnung, wo ich eigentlich hingehen soll. Irgendwie zum Kloster, klar, aber das Gelände scheint riesig zu sein und Schilder gibt es nicht. Direkt hinter dem Tor gibt es einen kleinen Unterstand, in Nepal haben sie so etwas Patti genannt. Die 2×5 m große Plattform soll Gestrandeten Unterschlupf bieten. Das Dach schützt vor Regen und die Erhöhung vor dem Ungeziefer und der Feuchtigkeit auf dem Waldboden. Kurz überlege ich, die restlichen Stunden der Nacht einfach hier zu verbringen und dann bei Tageslicht zum Kloster zu laufen.

Aber dann hält auf einmal der nächste Fernbus direkt vor dem Kloster und heraus kommt ein Mönch, der zwar kaum Englisch spricht, aber anscheinend genau weiß, wohin ich will. „Yes yes, Foreigners‘ Office.“ Also folge ich ihm durch den Wald. Die einzigen Geräusche sind das Zirpen der Grillen und das rhythmische Flip und Flop meines kurzfristigen Weggefährten. Nach einer halben Stunde Spaziergang durch den finsteren Wald sind wir da. „Here you wait“. Das Büro hat noch nicht offen. Verständlich, es ist ja auch erst 4 Uhr morgens. Zum Glück ist es hier immer so warm, dass man problemlos mit Pulli und ohne Decke draußen schlafen kann. Also setze ich mich auf den Stuhl vor dem Büro und hole mir noch so viel Schlaf wie möglich. So kommen zu den bisherigen zwei Mal zwei Stunden hoffentlich nochmal zwei dazu. Dass mich der Klosterbesuch sogar auf diese Weise für die Zukunft vorbereitet, das hätte ich ja nun wirklich nicht gedacht.

Mönche und Laien, die einige Monate dort bleiben, wohnen in kleinen Holzhütten, genannt Kuti.
Die Betten waren einfach nur Holzliegen – aber immerhin mit Dinosauriern.

Für die Reise habe ich mir ein Limit bis zum Wochenende gegeben, also gute fünf Tage. Die meisten ausländischen Laien hier im Kloster sind für mindestens einen Monat hier. Mein Aufenthalt wird also deutlich kürzer, aber nicht weniger faszinierend.

Was genau passiert ist und wie ich zur Erleuchtung kam, lest ihr in Teil 2, den ich in den nächsten Tagen schreiben werde. Dabei gibt es:

Tag 1: Meditieren ist harte Arbeit

Tag 2: Ich habe Hunger

Tag 3: Die Erleuchtung

Tag 4: Die Ernüchterung

Tag 5: Was eine Reise ins Kloster mit einer Reise nach Nordkorea verbindet